Kreative Ekstase
Letzte Woche war es mal wieder so weit: Mein jährlicher Schreibkurs bei Jesse stand auf dem Plan (deswegen kommt dieser Eintrag auch etwas später als üblich). Ich habe wie immer sehr unterschiedliche und interessante Schriftstellerstimmen kennengelernt, die mich beeindruckt und inspiriert haben und neue Erfahrungen und Erkenntnisse mitgenommen.
Dennoch muss ich (leider) sagen, dass es dieses Mal nicht so intensiv war, wie die Jahre zuvor. Einerseits habe ich diese Euphorie vermisst und nostalgisch an die vergangenen, lebensverändernden und hochemotionalen Wochen gedacht, andererseits fühlt sich diese neue, besonnenere Herangehensweise auf eine andere Art gut an. Als wäre ich gefestigter.
Auch Jesse hat angemerkt, dass ich jedes Jahr ruhiger werde. Und das keinesfalls auf eine negative Weise.
Ich glaube, es spiegelt schlicht meine Entwicklung wider. Das Schreiben ist für mich tatsächlich Teil des Alltags und so eng mit meinem Leben verwebt, dass es zur Normalität geworden ist.
Jedoch hat es seinen Zauber keinesfalls verloren. Im Gegenteil. Ich weiß jetzt mit Sicherheit, dass der kreative Rausch von damals reproduzierbar ist. Nur erlebe ich ihn inzwischen gesitteter, sodass er mich nicht jedes Mal völlig verzehrt und mir nicht gleich meine ganze Existenz raubt. Er dominiert mich nicht mehr, sondern ist ein Teil von mir. Wir sind eine Symbiose eingegangen.
Ein neues Projekt
Mein größtes Problem in diesem Jahr war, mich zu entscheiden, an was ich arbeiten sollte.
Der ursprüngliche Plan, Wiedergeburt zu überarbeiten, scheiterte daran, dass meine Lektorin den Entwurf noch nicht bis zum Ende durchgearbeitet hat.
Und ehrlich gesagt, war das ein wahres Glück, denn sonst hätte ich die Woche damit verbracht bedächtig mit einem Skalpell an meinem Text herumzubasteln, statt mich Hals über Kopf in eine völlig neue Welt zu stürzen.
Dennoch fiel es mir nicht leicht, die Entscheidung zu treffen, welche Welt es denn nun sein sollte. Es gab drei Kandidaten: Eine Geschichte, die ich vor einigen Jahren begonnen hatte und zu der bereits knapp zehn Kapitel sowie gut gereifte Charaktere existierten. Die zweite Idee drehte ich ebenfalls schon eine Zeit lang in meinem Kopf herum, hatte aber erst drei Szenen geschrieben und auch die Figuren waren eher rohe Diamanten. Option Nummer drei war eigentlich gar keine richtige Idee, sondern mehr eine Ahnung. Die Ahnung, dass eine Figur aus einer meiner Kurzgeschichten noch etwas zu erzählen hatte und ich ihr gern zugehört hätte.
Bis zum Beginn des Kurses und selbst nach dem ersten Tag, war ich nicht sicher, welcher Geschichte ich mich widmen sollte. Am Ende war es eine spontane Eingebung, ein Gefühl, das mich leitete und mich zu Möglichkeit Nummer eins bewegte.
Um genau zu sein, waren es die Charaktere, die mich schon nach wenigen Sätzen in ihren Bann zogen. Nicht nur die Protagonistin, in deren Stimme ich mich leicht wieder einfand, sondern auch ihre Begleiter und die Dynamik zwischen den verschiedenen Figuren machte mir besondere Freude.
Es war beinahe, als würde ich zu alten Freunden zurückkehren und feststellen, dass sich trotz der langen Zeit, die wir getrennt verbracht hatten, nichts geändert hatte und wir uns immer noch blind verstanden. Ich kenne diese Menschen in- und auswendig, weiß um ihre Stärken und ihre Schwächen und liebe es, wie sie sich gegenseitig spiegeln. Und jeder Einzelne von ihnen wächst mir mit jeder geschriebenen Szene mehr und mehr ans Herz.
Während ich bei Wiedergeburt einen klaren Favoriten unter den Charakteren habe, kann ich bei meinem neuen Projekt niemanden individuell herauspicken. Es ist gerade ihr Zusammenspiel, das sie so liebenswert macht.
Aber auch das Setting bringt mir großen Spaß. Die Geschichte spielt in einer nahen Zukunft, in der Fabelwesen mehr oder weniger die Apokalypse ausgelöst haben und nun erbarmungslos die überlebenden Menschen jagen.
Ich weiß selber noch nicht so genau, worauf das Alles hinauslaufen wird. Mal abgesehen von ein paar groben Punkten, habe ich mir dieses Mal praktisch keine Gedanken zur Story oder dem Ablauf gemacht. Ich lasse mich einfach treiben und sehe mal, wo mich der Textfluss hintragen wird. So bleibt dieses Abenteuer nicht nur für meine Figuren, sondern auch für mich aufregend und überraschend.
Bilanz
Wie in den vergangenen Jahren, habe ich natürlich Buch darüber geführt, wie viele Worte ich täglich geschrieben hatte. Diese Praxis hat sich bei mir ja auch außerhalb davon im Schreiballtag etabliert.
Zunächst war es leider genau das, was mich demotivierte. In den ersten beiden Tagen schaffte ich nicht einmal die 4.000er Marke. Ganz zu schweigen von meinen Wortrekorden von mehr als 6.000 Worten.
Auch das Schreiben an sich lief schleppend. Nur am Mittwoch hatte ich das Gefühl, wirklich mit meinem Projekt voranzukommen.
Also wechselte ich meine Perspektive und schaute einfach mal, wie weit ich denn tatsächlich gekommen war. Ich prüfte, wie viele Worte die Geschichte am Anfang der Woche hatte und wie viele dazugekommen waren. Und siehe da, es waren beinahe 14.000 Worte und der Text war auf insgesamt über 30.000 Worte gewachsen. Ich hatte ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte eines Romanes vor mir!
Mit etwas Durchhaltevermögen könnte ich demnach schon Ende August den Erstentwurf beenden!
Jetzt heißt es also wieder zurück zur Routine und fleißig jeden Tag 1.000 Worte in die Tastatur hämmern.
Ich kann mich darauf verlassen, dass mir immer etwas einfällt.
Zitat einer Teilnehmerin des diesjährigen Kurses
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