Die Nahaufnahme einer Seite Papier, die eng mit einer schwer leserlichen Handschrift bekritzelt ist.
Schreibtagebuch

Liebesbrief an meine Lektorin


Meine Arbeitsmoral ist weiterhin gering.

Ich habe gerade mal zwei Punkte von der To-do-Liste abgearbeitet: Die Steuererklärung und den Text für den nächsten Monat zu überarbeiten.

Er liegt jetzt, wie auch mein Roman, bei meiner lieben Lektorin. Ich habe also die wichtigsten Aufgaben erst einmal delegiert und schiebe alles andere erfolgreich vor mir her (hauptsächlich Dinge, die direkt oder indirekt mit der Website zu tun haben und keine ausreichende Priorisierung für eine sofortige Bearbeitung erhalten haben).

Aber wer ist eigentlich dieses mysteriöse Wesen, dem ich meine Texte da anvertraue.

Nun, wenn du das Nachwort gelesen hast, ahnst du es möglicherweise: Es ist meine beste Freundin.

Freundschaft und Konkurrenz

Ich habe meine beste Freundin in der Oberstufe kennengelernt. Damals hatte ich mitten im Jahr die Schule gewechselt und wurde auf den Platz neben ihr gesetzt. Allerdings war sie an diesem Tag nicht da und das Erste, was mir zu ihr gesagt wurde, war: „Mit ihr wirst du dich sicher gut verstehen.“ Die Untertreibung des Jahrhunderts!

Natürlich hatten wir unser Höhen und Tiefen. Schließlich haben wir unsere Teenager-Jahre miteinander verbracht, da ist ein gewisses Maß an Drama vorprogrammiert. Aber wir sind uns dennoch treu geblieben und nun schon die längste Zeit unseres Lebens befreundet.

Das Schreiben haben wir hingegen erst kürzlich, etwa vor drei Jahren (was man in unserem Alter so für kurz hält), als gemeinsame Leidenschaft entdeckt. Vorher haben wir eher still in unseren Kämmerchen vor uns hingearbeitet.

Um genau zu sein, wusste sie zumindest von mir schon recht lange, dass ich schreibe und dies auch auf ein professionelles Level treiben wollte. Das war möglicherweise einer der Gründe, aus denen sie ihre eigene schriftstellerische Tätigkeit nicht gleich mit mir geteilt hat.

Aber ich kann es ihr nicht verübeln, denn meine Reaktion auf ihre erste Andeutung in diese Richtung, war weder positiv noch feinfühlig. Zumindest in meiner Erinnerung. Ich war damals frustriert, fühlte mich allein und hatte das Gefühl, sie dringt in etwas ein, das mir gehört und will es mir wegnehmen. Als ob man das Schreiben für sich pachten oder es jemand anderem stehlen könnte…

Ich definierte und definiere mich sehr stark über diese Leidenschaft. Früher war ich aber in dieser Persönlichkeit weniger gefestigt und unsicher, wartete immer noch auf Anerkennung von außen und übersah so die großartige Chance, die sich mir bot: Meine beste Freundin wurde in diesem für mich so wichtigen Bereich des Lebens, der allen anderen Menschen in meinem Umfeld irgendwie fremd war, zu einer Verbündeten! Geht es eigentlich noch besser?

Denn, was mir nie wirklich bewusst war, ist, dass Schreiben einsam ist. Egal mit wie vielen Figuren man sich umgibt und wie viele Orte man im Geiste bereist, man kann es mit niemandem teilen. Auch nicht mit den Lesern, denn mit denen hat man in der Regel keinen direkten und wenn, nur oberflächlichen Kontakt. Da ist es ein großer Gewinn im eigenen Leben jemandem zu haben, dem man vertraut, dem man nahe ist und der diese Leidenschaft mit einem teilt. Ich wünschte, ich hätte dieses Glück schon früher erkannt.

Lektorin des Vertrauens

Doch wir haben diese ersten Stolpersteine überwunden und uns langsam an die Texte des anderen herangetastet. Natürlich mussten wir uns in Fingerspitzengefühl üben und besonders ich habe noch immer das Gefühl, oft überkritisch zu sein. Aber zumindest kann ich sagen, dass sich das auch bei meinen eigenen Werken so verhält.

Und das Ganze hat noch wesentlich mehr positive Seiten als das schnöde Lektorieren von Texten. Allein gemeinsam an einem Tisch zu sitzen und zu tippen, motiviert ungemein. Übungen zu vergleichen kann interessant und lehrreich sein. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich wir an gewisse Themen herangehen und wie ähnlich wir manch anderes Assoziieren.

Diese gemeinsamen Schreib-Sessions sind leider ein elementarer Teil meines Alltags, der wegen der Pandemie weggebrochen ist und mir sehr fehlt.

Natürlich können wir unsere Geschichten noch immer gegenseitig lesen, doch der Austausch kommt mir weniger intensiv vor. Zumal es zurzeit auch ein eher einseitiges Arrangement ist.

Es ist überdies etwas völlig anderes seine Texte mit jemandem zu teilen, der einen gut kennt, als mit einem Fremden. Man spricht auch über das, was zwischen den Zeilen steht, sieht vielleicht Dinge darin, die selbst dem Verfasser verborgen geblieben sind. Das intensiviert die heilsame Wirkung und verbessert die daraus resultierende Selbstreflexion.

Sich etwas von der Seele schreiben, ist eine Sache, aber es dann jemanden lesen zu lassen, befreit auf einem völlig neuen Level.

Und zu guter Letzt ist es natürlich auch ein Segen seine Texte in die Obhut einer Person geben zu können, der man vertraut, und von der man weiß, dass sie die kleinen Knospen mit Fingerspitzengefühl, nicht aber mit Samthandschuhen anfassen wir.

Selbst wenn man dabei nicht immer den richtigen Ton trifft, kann man das unter Freunden verschmerzen. Schließlich ist klar, dass die Kritik nicht persönlich gemeint ist.

Das bedeutet aber nicht, dass ich dem Urteil meiner Lektorin blind vertraue. Dennoch kann es ein wichtiger Prozess sein, sich dazu zu entscheiden, einen Änderungsvorschlag nicht anzunehmen. Es sagt einem selbst vielleicht ein stückweit mehr über die Identität der Geschichte (oder einem gefällt das Wort „mümmeln“ einfach besser als „mampfen“, auch wenn es nach einem Hasen klingt).

Ich kann abschließend nur betonen, wie dankbar ich bin, dass wir so viel teilen und das Schreiben uns auf diese Weise neu verbunden hat. Und auch dafür, dass sie mir ihre Zeit und ihren Rat schenkt und mir so bei der Erfüllung eines Traumes beisteht.

Ich hab dich lieb, meine aller beste(ste) Freundin auf der Welt für immer.


© 2021 Lilli Schwarz | Alle Rechte vorbehalten

Cover von Erdenebayar Bayansan auf Pixabay | bearbeitet von Lilli Schwarz

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Bilder von Karolina Grabowska und Karolina Grabowska auf Pexels | bearbeitet von Lilli Schwarz

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