Die Nahaufnahme einer Seite Papier, die eng mit einer schwer leserlichen Handschrift bekritzelt ist.
Schreibtagebuch

Schreiben, um zu schreiben


Wenn du das hier liest, bedeutet das, dass meine Website endlich online ist. Außerdem bedeutet es, dass du sie entdeckt hast und dich offenbar dafür interessierst, wie es eigentlich zu all dem kam.

Wie bin ich auf die Idee gekommen meine Geschichten auf diese Weise zu veröffentlichen? Wie viel Aufwand macht es so eine Website aufzubauen? Und vor allem: Warum mache ich das überhaupt?

Wenn dich diese und ähnliche Fragen nicht beschäftigen, dann hast du leider Pech gehabt, denn ich werde es dir jetzt trotzdem erzählen. (Nun, du könntest an dieser Stelle einfach aufhören zu lesen…)

Wie ich zur Schriftstellerin wurde

Begonnen hat alles vor drei Jahren. Damals habe ich zum ersten Mal an einem Volkshochschulkurs zum Schreiben teilgenommen. Ich knabberte zu dieser Zeit noch immer an meinem ersten Roman, den ich begonnen hatte, als ich 16 war.

Genau erinnere ich mich nicht mehr, warum ich mich dafür entschieden hatte einen solchen Kurs zu besuchen und auch nicht, wieso ich ausgerechnet dieser gewählt hatte. Ich vermute aber, dass mich, wie es in der Vergangenheit häufiger der Fall war, eine Schreibblockade quälte und dass ich einen neuen Antrieb suchte. Also beschloss ich, meinen Bildungsurlaub damit zu verbringen mich eine Woche mit fremden Menschen in einen Raum zu setzen und zu schreiben.

Woran ich mich hingegen noch sehr gut erinnere, ist mein Aufeinandertreffen mit der Dozentin, Jesse. Ich lief hinter ihr die Treppe zum Klassenraum nach oben und sie war bereits in einem Gespräch mit einer der anderen Kursteilnehmerinnen (wir waren wirklich nur Frauen). Den genauen Wortlaut kann ich nicht wiedergeben, ich weiß nur noch, dass es um das Schreiben ging und darum, wie einfach es doch war, Seite um Seite mit Worten zu füllen, wenn man einfach losließ.

Sofort verdüsterte sich meine Stimmung. Klar, einfach, dachte ich sarkastisch (ja, ich kann auch in Gedanken sarkastisch sein). Meine Erfahrung war eine andere, eine schmerzhafte. Ich starrte so oft ein weißes Blatt an, dass ich inzwischen vergessen hatte, wie es sich angefühlt hatte in völliger Ektase, wie in einem Rausch zu schreiben und sich selbst beinahe zwischen den Zeilen zu verlieren. Ich kannte nur noch die Sehnsucht nach diesem Gefühl. Den vernichtenden Schmerz, den man empfindet, wenn man etwas begehrt und nicht haben kann. Ich wurde Tag um Tag von meiner großen Liebe abgewiesen und egal was ich versuchte, ich konnte sie nicht zurückgewinnen.

Allein während ich das hier schreibe, zerreißt die Erinnerung an dieses Gefühl mir fast das Herz. Es ist eines der grauenhaftesten Gefühle, die ein Künstler kennt.

Und diese Frau, meine Dozentin, mit der ich die nächste Woche verbringen würde, sie wischt dieses Gefühl weg und behauptete, die Lösung dieses Problems wäre ganz einfach und liege nur in der richtigen Einstellung.

Ich hielt diese Ansicht für arrogant und glaubte schon, mein Geld und meine Zeit für diesen dummen Kurs aus dem Fenster geworfen zu haben. Auf keinen Fall würde sie mir helfen können.

Mutlos ließ ich mich also in dem kleinen Raum nieder und wartet, bis die übrigen Teilnehmerinnen ankamen. Es gab eine kurze Vorstellungsrunde, nur Jesse holte weit aus. Leidenschaftlich und voller Enthusiasmus erzählte sie von ihrem Studium in Amerika, ihrer Arbeit als Autorin in Deutschland, ihrem Buch zur Schreibtechnik und von Büchern, die sie geprägt hatten (viele davon Klassiker, die schon seit Jahren auf meiner Liste stehen, die ich, wie ich mit schlechtem Gewissen zugeben muss, bisher aber noch immer nicht gelesen habe…). Ganz ehrlich: Sie ging mir gewaltig auf die Nerven und meine Stimmung wurde immer schlechter.

Und dann erzählte sie uns, worum es ihr in dem Kurs ging: Jeder von uns sollte am Tag mindestens 4000 Worte schreiben. Wir hatten von 11 Uhr bis 18 Uhr Zeit (abzüglich Lesezeit und Pause natürlich).

Ich blickte mich um und in Gesichter, die meinem Ausdruck ähnelten. Keiner von uns hatte eine Idee, wie das zu schaffen sein sollte. Vielen der Teilnehmerinnen ging es ähnlich, wie mir, sie arbeiteten an einem Projekt und kamen nicht voran.

Dann präsentierte uns Jesse ihre geheime Formel: Wir sollten einfach schreiben. Es war völlig egal, was wir schreiben würden. Wir könnten auch Seite um Seite mit dem Satz „Die Lehrerin ist doof.“ befüllen, wie Jesse uns vorschlug. Eine Idee, die mir in diesem Moment noch gefiel.

Es ging darum beim Schreiben nicht nachzudenken, nicht zu kritisieren, was man schrieb, sondern lediglich ein Wort an das andere zu reihen. Es würde keine Qualität bewertet, nur Quantität.

Ich war nicht die Einzige, der diese Idee aufstieß. Schließlich wollten wir keinen Müll produzieren, sondern Geschichten, die zumindest lesenswert waren.

Aber darum ging es auch nicht. Natürlich würde man die Texte irgendwann überarbeiten, würde eine Handlung hinzufügen, würde Fehler ausbessern, den Charakteren Tiefe verleihen und all die anderen Dinge, die in jedem guten Schreibratgeber stehen. Aber der erste Entwurf durfte und sollte schlecht sein.

Wir sollten ihn betrachten, wie ein Neugeborenes. Es war dreckig, voller Blut, schrumpelig und schrie. Kein schöner Anblick, aber wie könnte eine Mutter dieses frische Leben denn nur aufgrund dieser äußerlichen Dinge kritisieren? Man würde das Kind waschen, es beruhigen und dann würde man ihm Zeit geben zu wachsen, zu lernen, und eines Tages würde man stolz darauf sein.

Ich glaube, es war Hemingway, der über Erstfassungen gesagt hat: „Dass man sie zu Ende bring, ist alles, was zählt.“

Und genau das war es, was Jesse uns vermitteln wollte. Schreib dich ans Ende und denk nicht nach. Nicht über das, was du geschrieben hast und nicht über das, was noch kommen wird. Du bist ein Wanderer bei Nacht, nur mit einer flackernden Taschenlampe bewaffnet und du kannst nur ein paar Meter in die Dunkelheit sehen. Was jenseits deines Lichtkegels liegt, bleibt dir verborgen. Lass die Geschichte von alleine wachsen und sich entwickeln.

Und so bescheuert ich diese Idee fand, so unmöglich sie klang, ich habe es gemacht. Und ich habe an diesem ersten Tag über 6000 Worte geschrieben. Gefühlt mehr, als ich zuvor in einem Monat geschafft hatte. Und auch die restliche Woche schrieb ich täglich nicht weniger als 5000 Worte.

Ich war so glücklich, dass mir am letzten Tag die Tränen kamen. Nie hätte ich das erwartet. In dieser einen Woche im Juli 2018 holte ich nach, was ich in Jahren zuvor versäumt hatte. Ich aß kaum, schlief kaum, vermutlich hätte ich aufgehört zu atmen, wenn mein Körper das nicht automatisch für mich übernommen hätte. Ich kannte nur noch das Schreiben.

Ich war neu verliebt und am Ende der Woche so erschöpft, dass ich erst einmal eine Pause vom Schreiben brauchte. Eine PAUSE! Ich konnte es nicht glauben.

Und ich fühlte mich damit gut, ich hatte keine Angst mehr, dass ich das Schreiben verlieren könnte. Endlich war ich mir sicher, dass es immer bei mir bleiben würde, auch wenn ich einmal für Jahre nicht zur Feder greifen sollte. Nichts würde uns je wieder trennen. Nichts!

Und deswegen ließ ich mir noch im gleichen Jahr endlich das Tattoo stechen, dass jetzt meinen Rücken ziert.

Die Idee davon begleitete mich schon so viele Jahre und ich hatte mir immer gesagt, dass ich es mir würde stechen lassen, wenn ich meinen ersten Roman beendet hatte, wenn ich eine echte Schriftstellerin war.

Doch in dieser Woche hatte ich etwas gelernt: Ich war schon eine Schriftstellerin.

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