Die Nahaufnahme einer Seite Papier, die eng mit einer schwer leserlichen Handschrift bekritzelt ist.
Schreibtagebuch

Sich selbst im Weg stehen


Ja, ja, 1.000 Worte täglich. Das war die Idee.

Ich bin diesem Vorsatz in den letzten vier Wochen immerhin an vierzehn von vierundzwanzig Tagen nachgekommen (Sonntage nicht mitgezählt, an denen mache ich Schreibpause). Dreimal war ich zumindest nah dran und genauso oft habe ich das Ziel um mehr als das Doppelte geschlagen.

Allerdings muss dazu gesagt werden, dass dabei immer seltener mein neues Projekt bearbeitet wird. Und auch Wiedergeburt hat seinen Weg noch nicht zu mir zurückgefunden.

Meine Lektorin hat wie ich ein Leben neben dem Schreiben und in dem geht es gerade etwas drunter und drüber, daher zieht sich die Überarbeitung sehr viel länger als vermutet.

Doch auch wenn die Ungeduld in mir brodelt und es mir in den Fingern juckt, den Text endlich veröffentlichungsfertig zu bekommen, mache ich ihr keinen Vorwurf. Ich kenne das ja selbst. Der Alltag steht einem viel zu oft im Weg, wenn man kreativ arbeitet. Er stielt einem wertvolle Energie, die dann für diese Aufgaben fehlt.

Auch mir geht es im Moment leider ähnlich. Der Motivationsschub aus dem Kurs ist schneller wieder abgeklungen als üblich und hat meiner inneren Kritikerin das Feld überlassen.

Die zwei Seiten

Vielleicht sollte ich das kurz erläutern, weil es für Außenstehende doch immer etwas befremdlich wirkt. Jeder Schriftsteller hat zwei Seiten: den Kreativen und den Kritiker.

Für manch einen mögen das schlicht verschiedene Arbeitseinstellungen sein, zwischen denen man hin und her schaltet, wann immer es gefragt ist. Aber ich sehe diese beiden Hälften meiner Selbst gern als zwei separate Persönlichkeiten: Lilli ist die Kreative, die Träumerin, die Schriftstellerin und Lucil ist die Kritikerin, die besonnene Lektorin.

Ich kann diese beiden Facetten auch im Alltag unterscheiden, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.

Jedenfalls ist es oft gerade die kritische Seite, die beim Schreiben dem Fluss im Weg steht. Die nagende Stimme kommentiert jeden Satz, jedes Wort, sogar jeden Gedanken, der noch nicht einmal zu Papier gebracht wurde. So unterdrückt sie oft die Kreativität, was bei empfindsamen Gemütern zu einer Blockade führt.

Dabei ist es gar nicht der Wille des Kritikers, gegen den Schriftsteller zu arbeiten. Auch er möchte die Geschichte erzählen, nur geht er mit seiner Bewertung oft zu forsch vor. Er wird dann zum Zensor und lässt nicht genug Platz für Träumereien.

Lucil hat das inzwischen verstanden. Immer kann sie sich zwar nicht zurückhalten, doch oft folgt auf ihre skeptischen Worte jetzt ein: „Ach mach erst mal, das können wir später noch verbessern.“

Mittlerweile übernimmt sie aber noch eine andere Rolle. Weil sie nun einmal aus der Natur heraus pragmatischer ist, fast schon etwas pessimistisch, ist sie auch diejenige, die ihren Blick auf anstehende Termine, speziell Veröffentlichungen richtet. Und umso näher der fünfzehnte eines Monats rückt, umso nervöser wird sie. Insbesondere jetzt, wo mein Vorrat an Texten aufgebraucht ist und ich für jeden Monat eine neue Geschichte produzieren muss.

Und umso nervöser Lucil wird, umso öfter redet sie Lilli wieder in die Arbeit herein. Einerseits mit dem alten: „Das ist nicht gut genug. So kannst du das nicht veröffentlichen.“. Andererseits mit der Frage: „Musst du jetzt wirklich etwas Neues schreiben? Der andere Text ist doch fast fertig. Überarbeite den doch erst einmal.“. Ganz nach dem Motto: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Und genau diese Kommentare bringen Lilli aus dem Fluss, brechen ihre Konzentration und demotivieren sie schlicht.

Das kreative Paradox

So fällt es mir immer schwerer, mich in die Texte einzufinden. Zumindest in den oft eher kurzen Phasen, in denen ich schreiben kann. Auf dem Arbeitsweg ist das jeweils nur eine halbe Stunde am Stück, ehe ich umsteigen muss.

Früher war das kein Problem und ich habe nicht nur einmal meine Haltestelle verpasst, weil ich so vertieft war.

Heute brauche ich deutlich länger, um mich ganz in einen Text fallen zu lassen. Ich kann zwar trotzdem eine beachtliche Menge Worte produzieren, aber das Gefühl ist ein anderes, es ist irgendwie oberflächlicher. Ich bin nicht so nah an den Charakteren dran, nicht so tief in der Geschichte. Das ist an sich kein Problem, nur eben weniger intensiv. Ich bekomme dadurch nicht den Motivationsschub, den ein Schreibrausch mir gibt.

Um in einen solchen zu verfallen, brauche ich Ruhe und darf nicht unter Zeitdruck arbeiten. Sei es der Termin zur Veröffentlichung oder schlicht, dass ich auf die Uhr gucken muss, um mich nicht zu verspäten.

Es soll ja Menschen geben, denen eine feste Deadline dabei hilft, produktiver zu sein. Ich habe ehrlich gesagt immer bezweifelt, dass ich zu ihnen gehöre, und aus dieser Vermutung ist nun Gewissheit geworden. Es regt mich viel eher zum Prokrastinieren an.

Selbst bei den Treffen meiner Schreibgruppe, die inzwischen wieder (fast) wöchentlich stattfindet, bin ich noch nicht zur üblichen konzentrierten Arbeitsweise zurückgekehrt. Das mag zum Teil auch daran liegen, dass wir uns nicht mehr in der Bibliothek treffen, (es ist viel leichter sich ablenken zu lassen, wenn man bei einem Freund auf dem Sofa sitzt) aber vor allem bremst mich die mangelnde Motivation. Das führt dazu, dass ich nicht so diszipliniert bin und dementsprechend auch nicht in den Rausch verfalle, der mich motivieren würde. Ein Teufelskreis.

Aber ein ähnlicher Kreislauf wird einsetzen, wenn ich schlicht mehr schreibe. Wenn ich mehr Texte produziere, bin ich nicht nur entspannter, weil ich etwas in der Hinterhand habe, sondern stelle auch wieder fest, wie leicht es mir fällt, eine Geschichte aus dem Nichts zu erschaffen. Was mich wiederum motiviert und mir die Hemmungen nimmt, sodass ich (hoffentlich) schneller loslassen kann und tiefer in die Texte komme.

Es ist schon paradox, aber die Antwort auf die meisten Probleme, die man als Schriftsteller hat, ist schlicht Schreiben. Und dabei ist das Was oft völlig nebensächlich.

Das kann allerdings auch dazu führen, dass sich das Schreiben teilweise sehr mechanisch anfühlt, man es irgendwann als nervige Pflicht empfindet und vergisst, dass es eigentlich die größte Freiheit und Bereicherung des Lebens ist.

Auch ich spüre viel zu oft den Widerstand in mir, wenn es Zeit ist, sich hinter die Tastatur zu klemmen, oder muss mich während einer Session krampfhaft von Wort zu Wort kämpfen, ohne richtig in den Fluss zu kommen.

Aber das sind Phasen, die vergehen und bald wieder Platz machen für die Euphorie und das Herzklopfen. Da bin ich ganz sicher.


© 2021 Lilli Schwarz | Alle Rechte vorbehalten

Cover von Erdenebayar Bayansan auf Pixabay | bearbeitet von Lilli Schwarz

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Bilder von Karolina Grabowska und Karolina Grabowska auf Pexels | bearbeitet von Lilli Schwarz

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